Schreibe stur, schnell und schlecht oder Was ist wichtig für gute Texte

Schreibe stur, schnell und schlecht oder Was ist wichtig für gute Texte

Heute Nacht bin ich von meinem dreitägigen Abstecher nach Berlin zurückgekommen, jetzt sitze ich da und reflektiere.

Reflektieren ist bei mir ohnehin groß geschrieben, das tue ich mehr als alles andere. An manchen Tagen besteht mein Denken ausschließlich aus Reflektieren. Bis jetzt fand ich das ganz okay.

Wie schlecht es in Wirklichkeit um mich steht, fiel mir erst vorgestern auf, bei einer Schreibübung im Workshop «Kreativitätstechniken» mit Tanja Steinlechner. Moment mal, war das erst vorgestern? Kaum zu glauben. Das eben an mir vorbei gesauste Wochenende in Berlin liegt in einer anderen Zeit und in einer anderen Welt, so weit entfernt, dass ich an seiner Realität schon wieder zweifle…

Also, vorgestern machten wir die Schreibübung «Die Geschichte eines Gegenstands». Man musste sich im Seminarraum einen beliebigen Gegenstand aussuchen und in fünf Minuten aufschreiben, was dieser Gegenstand über sich erzählte. Ich entschied mich für den Beamer.

Als fünf Minuten um waren, verriet uns Frau Steinlechner erst den Sinn dieser Übung: Hier sollten die Gedanken und Themen drinstecken, die nicht die des Gegenstands waren, sondern die des Autors. «Wie peinlich!», rief eine Teilnehmerin aus. Genau das dachte ich auch, traute mich aber nicht, es auszusprechen. Dann schämte ich mich und las meine Geschichte im Rahmen der Diskussion vor. Hier ist sie, unzensiert:

Es ist langweilig. Es wäre jedem langweilig, wer den ganzen Tag damit verbringt, die fremden Gedanken im rechten Licht darzustellen. Die eigene innere Welt wird dabei in den Schatten gestellt. Dort unten, in den Niederungen des Seminarraums, herrscht Aufregung, aber hier oben ist das alles nicht mehr wichtig. Sie kommen und gehen, diese beweglichen Geschöpfe, immer auf der Suche nach neuer Beschäftigung, nach Kommunikation. Von oben sehen sie alle gleich aus, man kann sie nicht auseinander halten. Am Abend wird’s still, ich habe endlich Zeit für mich, für meine Gedanken. Warum wird’s dann nicht besser? Wo bleibt der Sinn, wo bleibt mein Geist? Es kann nicht sein, dass diese fremden Gedanken, die ich auf die Leinwand projiziere, das Beste in meinem Leben sind, meine Berufung. Oder doch?

Zunächst herrschte Schweigen. Dann purzelten die Rückmeldungen anderer Teilnehmer und der Seminarleiterin auf mich ein: Hier werde die Sinnfrage aufgeworfen, hieß es, nach Anerkennung gesucht, aber auch nach der eigenen Identität. Diese Erkenntnis musste ich erst verdauen, bis ich einsah, dass es stimmte: meine Figuren suchen nach dem Sinn ihres Lebens, wollen wissen, wer sie sind – genau wie ich. Einige andere Teilnehmer hatten auch den Beamer gewählt und lasen ihre Texte vor, in denen andere Themen zum Ausdruck kamen: gebraucht werden, aufs Funktionieren reduziert sein, nach Beachtung suchen, durch rasendes Lebenstempo überfordert sein.

Diese unsanfte Konfrontation mit meinem Ich war für mich ein Wow-Erlebnis, die Offenbarung schlechthin. Das zweite Wow-Erlebnis hatte ich, als in der Pause zwei Teilnehmerinnen unabhängig voneinander auf mich zu kamen und meinen Text lobten. Sie haben ihn gut gefunden, sagten sie. Hallo? Meine Texte gut finden, geht’s noch? Ich kann doch nichts Gutes schreiben, erst recht nicht aus dem Stegreif. Rohtext ist bei mir immer ein formloser Materialhaufen, aus dem ich nach und nach den endgültigen Text heraus schnitze.

Mein Staunen war groß, als ich genau das von Christian Eisert, einem erfolgreichen Roman-Autor, in seinem Vortrag «Handwerk oder Idee – Was ist wichtig für gute Texte?» hörte. Wie ein Bildhauer beschaffe er sich zuerst einen Marmorblock und klopfe dann von allen Seiten daran, bis eine Skulptur entsteht. Sogar bei E-Mails soll er zuerst Material zusammentragen und es dann im zweiten Schritt zu einem Text formen. Bis jetzt sah ich in diesem Vorgehen ein Zeichen meiner schlechten Beherrschung der deutschen Sprache und meiner allgemeiner Minderwertigkeit. So viel zum Selbstwertgefühl.

Bei der Schreibübung «Automatisches Schreiben» mussten wir fünf Minuten lang einfach frei heraus schreiben, alles, was uns einfiel. Man darf einmal raten, was mir aus der Feder floss. Eine Reflexion, die erwartungsgemäß mit Selbstvernichtung schloss: Schreiben könne ich, das sei kein Problem, aber was dabei rauskomme, sei unbrauchbar, schrieb ich. Verdammt noch mal, ging mir durch den Kopf, es ist doch unnötig, sich selbst immer fertig machen, das kann man getrost anderen überlassen.

In den Kommentaren zu dieser Schreibübung hielt ich fest: «Irgendwann werde ich ausgejammert haben über die eigene Unzulänglichkeit, dann bin ich frei und habe Zugang zu meiner Kreativität.» Also, geht doch. Übrigens soll aus dieser Übung schon manch ein Roman entstanden sein. In meinem Fall wäre es ein Roman über Selbstzweifel ohne Ende. Vielleicht gäbe es sogar ein Happy End. Auf jeden Fall ist ein Roman über Selbstzweifel besser als gar kein Roman.

Es tat mir gut, mich bei den Schreibübungen mit meinen Ängsten auseinanderzusetzen. Schwarz auf Weiß aufgeschrieben, verloren sie einen großen Teil ihrer einschüchternden Macht. Ich schrieb sechs Ängste vor dem Schrieben auf, die mich plagen, und am Schluss die Hauptangst: der Welt nichts zu sagen zu haben. Es war erbauend, anderen Teilnehmern danach beim Vorlesen ihrer Ängste zuzuhören, denn ihre Ängste waren Zwillinge der meinigen. Frau Steinlechner riet uns, diese Ängste unseren Protagonisten zu geben und sie damit fertig werden zu lassen. Diese Idee musste ich drehen und wenden, bis sie in meinen Kopf passen wollte.

Später, als wir nun unsere Schreib-Stärken notieren mussten, fielen mir, zuerst zögernd, dann immer schneller, auch gute Seiten an mir ein. Zahlenmäßig waren es sogar mehr, als Ängste. Mich erfüllte Stolz – nicht auf die Stärken selbst, sondern darauf, dass ich sie erkannt hatte. Ich entspannte mich ein wenig.

Die Psychologin und Schreib-Coach Ulrike Scheurmann sagte gestern in ihrem Vortrag über Flow und Schreibblockaden: «Wenn es um die Erstfassung geht, gilt eine einzige Regel: stur, schnell und schlecht schreiben.» Das soll den Druck wegnehmen und dem inneren Kritiker das Wasser abstellen.

Was für eine Erleichterung, dachte ich. Schlecht schreiben ist etwas, was ich gut kann.

 

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