Aus heiterem Himmel
«Du wirst immer fetter», sagte Frank.
Ulla hob den Kopf vom Smartphone. Ihr Mann schmierte sich ein Butterbrot. Was hatte ihn veranlasst, das übliche Schweigen beim Sonntagsbrunch zu brechen und einen Angriff zu starten?
«Was soll das jetzt?», fragte sie.
Er streifte sie mit einem Blick. «Da nützt es dir nichts, ständig neue Klamotten zu kaufen.»
«Seit wann achtest du auf mein Aussehen?»
«Meinst du, ich bin blind? Das würde dir passen.»
Sie stellte ihre Kaffeetasse ab und lehnte sich zurück. «Was redest du da?»
Frank nahm noch etwas Butter und strich sie auf dem Brot glatt. «Da kauft sie sich jede Woche neue Kleider», sagte er zum Butterbrot, «und schminkt sich für die Arbeit wie zum Ausgehen. Und tut so, als wäre nichts dabei.»
«Soll ich wie eine Vogelscheuche herumlaufen? Ich werde mich wohl pflegen dürfen.»
Er ließ vom Butterbrot ab und stierte sie an. «Du warst doch immer für Natürlichkeit. Nicht mal für meinen Fünfzigsten hast du dich schön gemacht. Und jetzt putzt du dich jeden Tag heraus.»
«Ich werde halt älter. Da braucht’s etwas mehr Aufwand, um gut auszusehen.» Das Gespräch war sinnlos. Ulla nahm wieder ihre Tasse und sah auf das Smartphone mit dem geöffneten Messenger.
«Ist das alles für ihn?»
Sie verschluckte sich an ihrem Kaffee. «Für wen?»
«Was weiß ich. Für den, mit dem du die ganze Zeit chattest.»
«Das sind meine Facebook-Freunde.»
«Ach ja? Darum flippst du immer aus, wenn ich dein Handy anrühre.» Er griff nach ihrem Smartphone.
Sie zog es unter seiner Hand weg und schloss den Messenger. Die Unterhaltung mit dem neuen Kollegen war eigentlich unschuldig, aber die Vorstellung, dass Frank ihre manchmal doch etwas verspielten Äußerungen lesen würde, behagte Ulla nicht. «Schon mal von Privatsphäre gehört?»
Er biss vom Butterbrot ab. «Wenn was im Busch ist, kann man sich gut auf Privatsphäre berufen», sagte er mit vollem Mund.
«Das ist krank! Du benimmst dich wie …» Ihr fiel kein Vergleich ein.
«Natürlich mach ich alles falsch. Meinst du, es wird mit dem Neuen besser laufen?»
«Es gibt keinen Neuen!» Am liebsten hätte sie ihm sein Butterbrot ins Gesicht gedrückt.
«Warum regst du dich denn so auf?»
«Weil du mir aus heiterem Himmel eine Eifersuchtsszene machst.»
«Aus heiterem Himmel? Dann zeig mir doch dein Handy.»
«Nein.»
«Also. Da haben wir’s.»
Ulla trank ihren Kaffee aus. «Du hast keinen Grund, eifersüchtig zu sein», sagte sie beherrscht. «Aber wenn du darauf bestehst, bekommst du einen. Damit du nicht umsonst leidest.» Sie steckte das Smartphone ein und verließ das Esszimmer.